10. Westfälische Kulturkonferenz in Witten

Seit 10 Jahren gibt es die Westfälische Kulturkonferenz. Das erste Mal kommt die Konferenz nach Witten. Vor 13 Jahren haben die Staatskanzlei und die Kunststiftung NRW den Bericht „Kunst.NRW“ veröffentlicht. In dem Gutachten wurden Perspektiven für die kulturelle Entwicklung Nordrhein-Westfalens vorgestellt, doch der Blick von Düsseldorf auf das Land Nordrhein-Westfalen reichte nur bis zur Grenze zwischen dem Rheinland und Westfalen, die bekanntlich durch Wattenscheid und Hattingen verläuft. Viel Kunst haben die Rheinländer in Westfalen nicht entdeckt. Westfalen kam in dem Bericht fast gar nicht vor, erklärt Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger, Landesrätin für Kultur beim Landschaftsverband Westfalen Lippe:

Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger, Kulturdezernentin des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (Foto: LWL)
Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger, Kulturdezernentin des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (Foto: LWL)

Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger:
„Dieser Bericht hat alle Bereiche beleuchtet – alle Sparten. Zu unserem Entsetzen kam Westfalen-Lippe eigentlich überhaupt nicht vor, einmal am Rande Dortmund und dann wurde einmal gesagt in Westfalen gab es eine ganz bekannte Dichterin die Annette von Droste-Hülshoff und sonst spielt die Musik überwiegend an der Rhein-Ruhr-Schiene“

Das Entsetzen in Westfalen war große. Die LWL-Kulturabteilung führte gemeinsam mit den Bezirksregierungen Arnsberg, Detmold und Münster eine Analyse des Bestandes und des kulturellen Potenzials in der Region durch.

Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger:
„Und dann haben wir uns gedacht, na ja, kann das es sein? Haben wir überhaupt keine Potentiale? Das war der Auslöser zusagen, jetzt müssen wir zusammenarbeiten.“

Die Akteure vernetzen sich, führten gemeinsam Konferenzen durch, am Anfang gab es die Sorge:

Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger:
„Es ist Kulturkonferenz und keiner geht hin. Aber es war ein unheimlicher Erfolg gewesen.“

Über 200 Kulturakteure aus ganz Westfalen-Lippe trafen sich am 18.3.2011 in Dortmund zur 1. Westfälischen Kulturkonferenz. (Foto: LWL/Kallerhoff)

Die erste Westfälische Kulturkonferenz gab es in Dortmund, dann lagen die Austragungsorte in Ostwestfalen, dem Münster- und der Sauerland. Zum zweiten Mal kommt die Konferenz ins Ruhrgebiet. Dr. Yasmine Freigang, Leiterin der LWL Kulturabteilung Kultur in Westfalen, erläutert warum die Wahl auf Witten viel.

Dr. Yasmine Freigang:
„Wir sind in Witten, weil die Orte an denen wir mit unserer Westfälischen Kulturkonferenz sind, immer bestimmte Anforderungen erfüllen müssen. Wir brauchen einen großen Raum für 400 Leute, wir brauchen Nebenräume für Workshops, dann sollte der Ort natürlich ein schöner Kulturort sein und er sollte gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen sein. Alle diese Bedienungen erfüllt der Saalbau Witten.“

Leider kommen die Menschen nicht nach Witten, wie es ursprünglich geplante war. Die Konferenz sollte hybrid stattfinden – mit Zuschauern im Saalbau und im Internet. Nur wenige Tage vor der Konferenz im vergangenen November wurde diese allerdings abgesagt. Grund dafür war der erneute Corona-Shutdown.

Lars König, Bürgermeister von Witten:
„Wir haben Corona-bedingt das Format verschieben müssen. Ich freu mich ausdrücklich, dass wir in diesem Jahr – wenn auch zu den aller größten Teilen digital in der Lage sein werden die Kulturkonferenz zu zelebrieren. Ich denke das ist genauso, wie die Wittener Tage für neue Kammermusik hervorragend für den Standort Witten, was auch das überregionale Renommee im Bereich Kultur betrifft, insofern freue ich mich einfach drauf.“

Lars König, Bürgermeister der Stadt Witten
Lars König, Bürgermeister
der Stadt Witten

Die Konferenz wurde komplett neu geplant und findet jetzt digital im Internet statt. Einen Nachteil hat das allerdings, den Führungen durch die Wittener Innenstadt fallen komplett aus, erläutert Jasmin Vogel, Vorständen des Kulturforum Witten:

Jasmin Vogel, Vorständen des Kulturforum Witten
Jasmin Vogel, Vorständen des Kulturforum Witten

Jasmin Vogel:
„Wir sind nicht die einzigen Orte die interessant sind, wir haben das Wiesenviertel – mit sehr viel Bewegung – wir haben den Unikat Club in der Innenstadt. Wenn die Leute nach Witten gekommen wären, hätten sie sich diese doch sehr dynamischen Bewegungen auch der freien Kulturszene vor Ort betrachten und erleben können. Das ist extrem schade, aber ich hoffe natürlich, dass durch die Kulturkonferenz auch ein Impuls nach Witten kommt und über diesen Impuls natürlich auch Leute sich bemüßig fühlen – dann, wenn wir es wieder können, Witten wieder zu besuchen.“

Aber welchen Impuls braucht denn Witten?

Jasmin Vogel:
„Es gibt überall Bedarf – glaube ich. Also es fängt damit an, wie gehen wir mit Leerständen um. Da haben wir glaube ich mit Galeria Kaufhof ersten guten Schritt in die richtige Richtung getan. Aber auch die Frage, wie gehen wir bestehenden Institutionen um. Wir haben natürlich ein Sanierungsstau – brauchen Sie nur den Saalbau sich anzugucken. Auch die Frage: Was ist eigentlich eine zukünftige Kulturarbeit? Nicht Spartenbezogen, sondern im Querschnitt gedacht und natürlich denke ich auch immer mit Blick – sagen wir mal – auf Spitze, was können eigentlich zukünftige Kunst- und Kulturformate sein, die vielleicht in großen, urban Städten schon stattfinden und bei uns aber eine Unterrepräsentanz haben. Das sind natürlich im positiven wichtig sind. Und dann sind wir an dem Punkt „Kultur gestaltet Räume“, ich glaube das wir durchaus noch Nachholbedarf darin haben, wie Kultur im öffentlichen Raum stattfindet.“

Jetzt kommt ein Impuls nach Witten durch die Westfälische Kulturkonferenz, aber wir bringen uns auch ein. Es wird Diskussion geben mit Wittenern, die für das Kulturforum arbeiten.

Jasmin Vogel:
„Ja natürlich, das ist ja genau der Punkt. Kulturpolitik oder Kulturentwicklung ist ja nicht nur Schönes, sondern wir müssen auch streiten. Dieses Streiten lässt sich besser nicht nur im intern kleinen Kreis, sondern am Ende mit unterschiedlichen Perspektiven und diese Perspektiven da denke ich ganz natürlich regional, aber auch national, vielleicht international.“

Welchen Impuls bracht denn Witten? „Wie meine Sie das?“, fragtJasmin Vogel nach. Was würden Sie sich gerne, von den vielen Beispiele die auf der Westfälischen Kulturkonferenz vorgestellt werden, abgucken? Wo gibt es in Witten Bedarf?

Jasmin Vogel:
„Das Thema der Westfälischen Kulturkonferenz ist ja »Zusammenkommen – Kultur gestaltet öffentlichen Raum.« Ich denke das ist natürlich auch ein Thema, was Witten sehr beschäftigt. Wir gucken uns die Innenstadt an, wir gucken uns generell die Entwicklung an und Kultur kann da ein wichtiger Impulsgeber für die zukünftige Entwicklung auch insbesondere öffentlichen Raumes sein. Auf der einen Seite natürlich ein starker inhaltlicher Impuls, auf der anderen Seite ist es natürlich toll, kulturpolitisch aktiv zu sein, auch kulturpolitisch präsent zu sein als Witten, um auch zu gucken wohin entwickelt sich der Kultursektor. Deswegen ist es natürlich wichtig, gerade solche Konferenzen, auch gerade mit Blick auch auf Fach- oder Expertentum, hier in Witten zu haben.“

Jetzt findet die westliche Kulturkonferenzen zum großen Teil online statt, geht uns da auch etwas verloren dadurch, dass die Menschen nicht nach Witten kommen?

Jasmin Vogel:
„Natürlich, das erleben vor Ort kann durch nichts ersetzt werden. Auf der anderen Seite hilft es uns natürlich – es ist auch für uns eine Lernerfahrung. Was heißt eigentlich eine Hybride-Veranstaltung hier in Witten, wenn wir das über drei Orte am Ende machen, Saalbau, Haus Witten und Märkisches Museum / Bibliothek. Das ist für uns ein Lernerfahrung. Natürlich fehlen die Menschen. Wir haben hier das wunderbare Kunstwerk von Frauke Dannert, was nur ein ganz kleiner Teil zu Gesicht bekommen wird. Das ist natürlich schade! Auf der anderen Seite, wir lernen dadurch und schauen dann, wie es weitergeht.“

Wie bringen wir uns ein? Wen schicken Sie online in die Diskussion?

Jasmin Vogel:
„Definitiv meinen Kollegen Christoph Kohl, vom Museum, weil glaube ich da Museen noch eine große Rolle in der Gestaltung von Gesellschaft einnehmen werden. Natürlich sind immer alle Arbeitskolleginnen und -kollegen eingeladen online auch teilzunehmen, auch aktiv sich weiterzubilden. Wir haben bei uns in Witten sogenanntes Capacity-Building- Programm auf dem Weg gebracht d.h. wie ermächtigen unsere Kolleginnen und Kollegen durch Weiterbildung auch sich selber noch mal eine andere Möglichkeitsraum und Denkraum auch zu öffnen.“

sagte uns Jasmin Vogel, Vorständin des Kulturforum Witten. Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger, was konkret sollten die Wittener von der Westfälischen Kulturkonferenz mitbekommen?

Dr. Yasmine Freigang:
„Die Wittener waren selbstverständlich auch herzlich eingeladen sich zu allen Veranstaltungen anzumelden. Alle interessierten, die sich noch nicht angemeldet haben zu einer der Veranstaltung, können sich per Livestream dazu schalten und über das Internet an der Konferenz teilnehmen.“

Unikat und das Wiesenviertel in Witten

Kultur- und Stadtentwicklung im Quartier ist das Thema auf der Konferenz am Freitag. Jan Bardelle und Janek Küttner vom Unikat e.V. und Irja Hönekopp und Linda Ammon vom Wiesenviertel e.V. werden dann Witten auf der Bühne repräsentieren und die Wittener Projekte vorstellen. Das Unikat stellt uns Jan Bardelle vor:

Jan Bardelle:
„Unikat oder viele mehr das Unikat e.V. ist im Wesentlichen ein Kulturzentrum oder zu spezifizieren ein Soziokulturzentrum und vor allen auch ehrenamtlicher und gemeinnütziger Verein mit Sitz in der Wittener Innenstadt – an der Bahnhofstraße 63 – also sehr zentral. Wir sind großes Kollektiv an momentan 25-30 aktiven Mitglieder, sowohl aus der Studierendenschafft der Uni Witten/Herdecke, also auch aus Anwohnenden oder auch Bewohner anderer Städte drumherum, die alle rein ehrenamtlich hier an diesem Projekt arbeiten. Das Gebäude in dem wir sitzen umbauen, das Team organisieren und vor allen Dingen auch Veranstaltung ausrichten.“

Das Unikat befindet sich im ehemaligen Kempf-Haus. Früher wurden dort CD-Spieler und CDs verkauft, heute wird dort Musik aufgelegt. Jan Bardelle und Janek Küttner können präsentieren, wie das Gebäude mal ausgesehen hat und was sie aus dem Gebäude gemacht haben, zwar nicht direkt vor Ort aber auf Fotos.

Jan Bardelle:
„An renovierten Räumlichkeiten werden wir vor allen Dingen das Kitten zeigen, direkt neben dem Unikat, der Eingang ist in der Poststraße. Das ist unsere Bar, die wir in relativ aufwändigen und vor allen Dingen eigenverantwortlichen Arbeiten in den letzten zwei Jahren alle komplett renoviert haben, nachdem sie fast 20 Jahre lang nicht im Betrieb war. Zum anderen werden wir unsere große Erdgeschoss Fläche zeigen, auf der früher eben Kempf und danach TEDI war, die wir im November 2018 – wenn ich mich nicht ganz täusche – übernommen haben. Die Fläche haben wir zum Teil umgebaut, kleine Sachen gemacht, deren großer Umbau steht noch an. Wir haben hier schon munter Veranstaltung aus vielen erdenklichen Bereichen veranstaltet und nutzen das ganze gerade schon für Veranstaltungen.“

Das ganze Interview mit Jan Bardelle finden Sie auf NRWision. Das Gespräch habe ich schon Ende Oktober geführt, bevor die Konferenz abgesagt wurde.

Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger „Zusammenkommen – Kultur gestaltet öffentliche Räume“ lautet das Motto der diesjährigen Konferenz. Ist es überhaupt gewünscht, dass Bürger öffentliche Räume gestalten? Ich erinnere mich so an Aktionen in Witten, da wurde von den Bürgern etwas aufgebaut und die Stadtverwaltung ließ das ganz schnell wieder zurückbauen. Es wurde immer versicherungstechnische Gründen argumentiert. Also ist es tatsächlich gewünscht, dass Bürger sich im öffentlichen Raum so engagieren und das was sie aufgebaut haben, langfristig erhalten bleibt?

Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger:
„Da gibt es ganz viele Aspekte. Der öffentlicher Raum ist natürlich immer ein ganz wichtiger Bereich und in Corona-Zeiten wichtiger denn je. Ich nenne ein Beispiel, wo wir das schon lange gelernt haben öffentliche Räume zu nutzen, das ist bei den Skulptur-Projekten in Münster. Die es ja schon über Jahrzehnte gibt, alle 10 Jahre findet das statt. Da sieht man, wie die Nutzung von öffentlichen Räumen und die Auseinandersetzung mit öffentlichen Räumen wirklich auch eine Stadtgesellschaft verändert hat. Das finde ich, ist ein gutes Beispiel. Muss auch nicht immer ein öffentlicher Raum so gestaltet werden und nicht mehr verändert werden. Gerade die Chance von öffentlichen Räumen ist ja auch, dass man sie individuell bespielen kann aber, dass überhaupt die Möglichkeit gegeben wird, sie zu bespielen. Jetzt kommt noch das neue dazu – das Digitale und der öffentlicher Raum. Ich halte das für eine ganz wichtige Geschichte und das Ergebnis muss sein, Menschen kommen zusammen, bauen etwas im öffentlichen Raum und dann ist es wieder weg. Das ist für mich nicht das Entschiedene, sondern erstmal das Prozesshafte, dass Menschen zusammenkommen, etwas gemeinsam machen und diesen öffentlichen Raum erleben. Dann kann es in wenigen Jahren etwas anderes sein, aber es muss diese öffentlichen Räume und Plätze für die Menschen geben.

In der Vergangenheit war es anders gegeben. Da kam man aus unterschiedlichen Gründen zusammen, auch wenn es früher der Kirchgang war – das war mehr oder weniger vor der Kirche ein öffentlicher Raum, wo man nachher noch zusammen war. Das brauchen die Menschen heute – diese öffentlichen Räume, um sich zu verschiedenen Themen auszuschauen und zusammen zu kommen und den öffentlichen Raum für sich anzunehmen. Da ist nicht nur die Aktion der Menschen untereinander wichtig, sondern wir müssen uns Gedanken machen, wie gestallten wir öffentliche Räume, d.h. wie gehen wir mit unserem gebauten Kulturraum im Endeffekt um. Wie entwickeln den weiter, was bleibt, was verändert sich. Und wenn wir jetzt sehen, wie stark jetzt das digitale wird und sich unser Einkaufsverhalten auch wiederum verändert, wird sich in den bislang öffentlichen Räumen oder den Einkaufszonen natürlich auch wieder sehr viel verändern. Die Sparkassen, die in kleinen Ortschaften wegfallen, wie wird das alles genutzt, wie wir das alles verändern, ich finde das ist ein ganz spannendes Thema, mit dem wir uns auseinandersetzen.“

72 Hour Interactions – Witten Truffel Pigs bauen ein Labyrinth am Evergreen-Platz gegenüber dem Wittener Hauptbahnhof.

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